Bunte Lichtpunkte tanzen von ihren Augen. Der Magen fährt
Achterbahn. Völlig abgehoben driftet Chérie mit dem Punk über die klebrige
Tanzfläche. Einmal Wiener Walzer zu französischem Old-School-HipHop. Der Punk hat
die Augen weit aufgerissen und starrt an ihr vorbei.
Die Menschenmasse wiegt
vor und zurück, wie eine gigantische Welle. Sie ist unkontrolliert, wie in
Trance, schwappt umher, kreist ein und reißt mit. Körper an Körper, betäubt,
taumelnd. Chérie und der Punk mittendrin. Partner für einen Augenblick, einen
Tanz. Ihre Freunde stehen in einer Ecke, Fluppe zwischen den Lippen, eine
Flasche kreist. Eloise tanzt mit dem Berlin-Boy, so haben sie ihn wegen seines
Berlin T-Shirts genannt, er schleicht schon eine Weile um die Gruppe rum, dicht
an dicht, irgendwie zusammen. „On continuit?“ nuschelt der Punk in Chéries Ohr.
Der DJ legt eine neue Vinyl auf, diesmal Rock’n’Roll. Die Masse wiegt sich,
Haare fliegen, es wird mitgesungen, gegrölt. Berlin-Boy hat sich eine Neue gesucht,
Eloise hängt sich an die langbeinige Freundin von Simon. Chérie nickt nur,
verstehen tut sie sowie niemand. Der Punk verzieht grinsend das Gesicht, zieht
genussvoll an der Kippe und mustert Chérie erneut von oben bis unten. Ein
bisschen unwohl fühlt sie sich schon hier, totally overdressed mit dem kurzen
Wollrock und der Bluse. Um sie herum dunkel gekleidete Gestalten, eher
alternativ mit langen Haaren und langen Bärten, über ihren Köpfen hängen Plakate
wie „Die KPD bleibt“ Oder „Antispezietistische Aktion“, daneben die
Regenbogenfahne. Der ganze „Club“ ist eher ein großer Konzertsaal ohne
Garderobe oder Einlass, bunt besprühte und beklebte Wände, die Gäste mit ihren
Jacken um und Rucksäcken an. Und dazwischen Eloise und Simon, seine Freundin
Clémence und im Schlepptau Chérie. Sie hatte sich nach dem dritten Bier und
einigen Kurzen in Simons Appartement bequatschen lassen, mitzukommen. Und jetzt
ist sie hier. Der Punk ist in der Menge verschwunden, nur sein Iro blitzt auf. Tant
pis! Wie von selbst tanzt Chérie weiter, tiefer und tiefer in das Herz der
Menschenwelle hinein. Ein wilder Wechsel zwischen schnellem Rock und HipHop.
Einige Besucher stehen vor den Wänden aus Boxen. Der Rhythmus massiert die müden
Glieder und Herzen. Ihr Kopf dröhnt von der Musik, von dem bitter-süßen
Zigarettenrauch, dem Alkohol. Simon und Clémence tanzen wie in Trance, mehr
eine Gestalt als zwei. Eloise lehnt rauchend an der Wand und winkt Chérie zu.
Eine kleine Französin springt vor ihr hin und her, auf ihre Füße und in ihre
Arme, und zieht Chérie weiter nach vorne. Die Französin beherrscht ihren
Körper, windet und dreht sich, die lackschwarzen Haare mit den blauen Spitzen
fliegen in alle Richtungen, ihre tätowierten Arme bewegen sich schlängelnd
durch die Luft. Schweiß rinnt Chérie die Stirn und den Nacken entlang, das
T-Shirt klebt an Bauch und Hüften. Irgendjemand entleert seinen Plastikbecher
Bier über ihren Rock. Die Französin lacht und wirft den Kopf in den Nacken. Eloise
raucht immer noch und diskutiert inzwischen mit einem mittelalten Mann in
Strumpfhosen. Es ist nicht wirklich dunkel, immer wieder werden die schweren
Luftschutztüren aufgerissen, und ein Schwall eiskalter Nachtluft erfrischt die
Tänzer. Jeder für sich alleine, in der eigenen Welt gefangen, und doch zusammen
wie ein Schwarm Vögel. Oder eher stumme Fische. Auf der Bank in der Ecke
schläft eine junge Frau, in der Ecke macht ein Pärchen rum. Jeder ist für sich.
Und doch zusammen. Chérie tanzt weiter, getragen von kleinen elektrischen
Impulsen. Ein Gefühl tief aus dem Magen breitet sich aus, wie von alleine
erfolgen die Bewegungen. Die Bässe diktieren den Takt. Clémence und Simon sind
nach draußen verschwunden. Eloise lehnt an der Bar. Und Chérie tanzt weiter
- gegen die Kopf- und Gliederschmerzen,
gegen die Leere, die Kälte im Inneren. Tanzt weiter. Unerwartet legt sich ihr
eine warme Hand in den Nacken und ein Franzose schiebt sich neben sie. „J’aime
comment tu danses.“ Der Typ von der Bar. Einfaches T-Shirt, Jeans, Lederjacke,
Sneakers. Ein Bier in der einen Hand, die andere locker auf Chéries Schulter.
Nicht zu nah, nicht zu fern. Sie hat ihn eben schon gesehen, ein wenig
beobachtet, um ehrlich zu sein, er gefällt ihr schon irgendwie. Sie lächelt. „Il nous reste quelques minutes avant
la fermeture.“ Er lächelt zurück. Dunkle Haare, dunkle Augen. „Il faut
en profiter, n’est-ce pas ?“ Er greift nach ihrer Hand.
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