Montag, 20. November 2017

Pasta



Mit einem lauten Klirren fällt die Glasflasche auf den Boden, und die braunrote Bolognese-Sauce ergießt sich auf die schmutzig-grauen Fliesen. Mindestens drei weitere Einkäufer drehen sich um, und ich merke, wie ich knallrot anleuchte. Ein wandelndes Stoppschild. Ich fluche. Erst auf Deutsch, dann Französisch. Als ob dieser Tag nicht schon stressig genug wäre, vielen Dank liebes Karma!
Hastig nehme ich den Henkel des kleinen Einkaufstrolleys und suche den nächsten Mitarbeiter: ein kleiner rothaariger, etwas verpickelter Jüngling, der mich annuschelt. Dreimal muss ich „Pardon, excusez-moi, je ne comprends pas.“ radebrechen, bis wir uns verstehen. Also so halbwegs verstehen. Schande über mich, seit fast 2 Jahren in diesem Land, und noch immer stammel ich vor mich hin wie ein kleines Mädchen. Immer noch leuchtend wie eine Rettungsboje mache ich mich auf den Weg zur Kasse. Es ist kurz vor Ladenschluss, und alles schiebt und drängt sich an die Kassen, die großen Warenaufsteller mit Lindt-Weihnachtspackungen und Adventskalendern machen das Einkaufen zum Hindernislauf. Ich muss warten. Am liebsten würde ich den Wagen einfach stehen lassen und dann ab durch die Mitte. Ich bin müde und ausgelaugt. Obwohl es jetzt schon das dritte Semester hier ist, habe ich das Gefühl, das Tempo wurde nochmal angezogen, hier noch ne Abgabe, da ein contrôle continu, und klaro, 60 Seiten auf Alt-Französisch lesen sind natürlich das reine Vergnügen. Ich seufze. Ich will mich ja nicht beklagen, aber. Doch, schon irgendwie. Ich will mich beklagen! Über alles und jeden und überhaupt! Der Opa da vorne, der an der Selbstbedienungskasse schon das dritte Mal die Servicekraft um Hilfe fragen musste und es sich deshalb unnötig staut. Der Dozent, der ständig seine Wochenplanung umschmeißt. Ich seufze. Ja, ich weiß, es kann schlimmer kommen, ich darf mich dankbar schätzen hier, zu sein. Aber trotzdem, mäh. Draußen ist es duster, die Straßenlaternen sind schon lange an, und es weht ein scharfer Wind. Es ist Freitagabend, und das Wochenende steht ganz unter dem Lernstern. Ich seufze, als ein Typ sich vor mich schiebt, will der sich etwas vordrängeln? Er dreht sich um, und grinst mich an: Der Nachbar von einer Etage tiefer. Wir sehen uns regelmäßig am Wochenende: Ich im Schlafanzug vor seiner Tür, er angetrunken im Türrahmen: „Est-ce que tu pourrais baisser la musique un peu, s’il te plait?“ Er grinst breiter, als er mich erkennt: „Oh, l’allemande, ca va, toi?“ Ich nicke peinlich berührt, als er die Familienpackung Schokokekse in meinem Korb beäugt. „Je voulais te toujours demander si tu voudrais passer chez moi, ben, chez nous pour manger avec nous? Tu vois, tu nous entend toujours….et à la fin on pourrait faire connaissance, non ?“  Er guckt mich erwartungsvoll an. „Ce soir? Vers 9h? Je ferai des pâtes avec sauce bolognese. ça te va ?“ Ich nicke etwas überfahren und fange an zu grinsen. „Oui, avec plaisir, merci beaucoup pour l’invitation, ça me ferai plaisir!“ „Il n‘y a pas de quoi, à toute !“ Er verschwindet in Richtung Konserven. Und ich lasse meinen Einkaufskorb stehen, nehme meine Tasche. Und verlasse fast beschwingt den Laden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen